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Hallenturnschuhe

Über Hallenturnschuhe, G12 und die aktuell wichtigste Telefonnummer.

 

Hallenturnschuhe. Ich bin sicher, es gibt hier einige Eltern, die… ach was soll der Quatsch. Ich bin sicher, es gibt hier einige Mütter, die bei diesem Stichwort wahlweise seufzen, weinen oder fluchen.

Für alle anderen: auf der Liste der Dinge, die unsere Tochter für die Corona-Einschulung letztes Jahr brauchte, standen Hallenturnschuhe. Helle Sohle und nur für Indoor, damit sie keine Spuren auf dem Turnhallenboden hinterlassen. Wir haben für unsere Tochter ein paar Hallenturnschuhe zur Einschulung gekauft.

Letzten Spätsommer und Herbst fand der Sportunterricht in der Schule Corona-bedingt auf dem Schulhof oder Spielplatz statt. Als die Schulen im Dezember vorzeitig wieder geschlossen wurden, passten unserer Tochter ihre neuen Hallenturnschuhe nicht mehr. Wir haben sie an ihren kleinen Bruder weitergegeben. Ihr seht einen der Schuhe auf diesem Foto.

Im Dezember begann Home-Schooling, dann kamen die Weihnachtsferien, danach wieder Home-Schooling. Im Februar begann unsere Schule wieder, mit Wechselunterricht: eine Woche 2 Tage im Schulgebäude, die andere Woche 3 Tage im Schulgebäude, im Wechsel. Ich sträube mich innerlich dagegen, „in der Schule“ zu schreiben, denn Schule ist für meine Tochter und uns: zuhause. Irgendwie fand auch wieder Sportunterricht statt, auch wieder in der Halle, weil die Gruppe ja nur halb so groß war. Unsere Tochter bekam neue Hallenturnschuhe, die alten paßten ihr ja nicht mehr. Dann kamen die Osterferien, und seitdem sind die Schulen wieder zu. Bei den Inzidenzen hier in Bonn wird sich das bis Ende Mai sicher nicht mehr ändern. Am 05. Juli beginnen die Sommerferien.

Ein weiteres Paar Hallenturnschuhe werden so den Hallenfußboden der Schulsporthalle nicht wieder betreten.

 

Ich höre, wie Angela Merkel sagt, daß wir mit einem Impfstoff für kleinere Kinder nicht vor 2022 rechnen können. Ich rechne mit einem weiteren verlorenen Schuljahr. Und nicht nur meine Tochter mit Down-Syndrom hängt in der sozialen Isolation: Freundinnen aus dem Kindergarten gehen auf andere Schulen oder noch in den Kindergarten = die treffen wir nicht wegen Corona. Die wenigen Wochen im Schulgebäude nach den letzten Sommerferien (wir reden von netto: 15 Wochen Schule im Klassenverbund) haben nicht gereicht, um neue Freundschaften wachsen zu lassen.

 

Ich erfahre von Eltern, die ihre Kleinkinder „völlig eigennützig und unsolidarisch“ trotzdem in den Kindergarten bringen, obwohl nicht beide Elternteile in „systemrelevanten Berufen“ arbeiten. Daß „Relevanz“ in unserem „System“ nichts wert ist, wurde an anderen Stellen schon ausreichend beschrieben und findet weiterhin keine Beachtung. Daß Eltern auch versuchen, aus ihren Kindern möglichst soziale Wesen zu machen, wird hingegen kaum beschrieben, und findet ebenfalls keine Beachtung. Und was das mit „Egoismus“ zu tun haben sollte, Kinder nur einige Tage in der Woche in einem sozialen und normaleren (manchmal auch: heileren) Umfeld verbringen zu lassen, soll mir bitte mal jemand schlüssig erklären.

 

Ich staune, daß Schulen und Kindergärten fast „atmend“ geöffnet und geschlossen werden, Home-Office hingegen bei Bürojobs nicht Pflicht wird. Daß 4-jährige Kinder für den Kindergarten zweimal in der Woche einen bestimmten Corona-Test machen müssen. Arbeitgeber müssen hingegen wöchentlich einen Corona-Test anbieten; er ist jedoch nicht verpflichtend, und ob das ein Schnell- oder Selbsttest ist, ist auch egal (Quelle: Seite der Bundesregierung zum Coronavirus in Deutschland).

 

Ich nehme mit Verwunderung wahr, wie eine neue Ifo-Studie zeigt, daß „Der Distanzunterricht (…) trotz langer Vorbereitungszeit kaum besser als vor einem Jahr funktioniert.“ Vorbereitungszeit?

Dieser Ausdruck legt nahe, als hätte jemand -vielleicht irgendwann im 2. Quartal 2020- begonnen, alles für eine längere Beschulung unter Pandemiebedingungen vorzubereiten. Das halte ich für sehr abwegig.

Und mit „nur 4,3 Stunden täglicher Lernzeit im Distanzunterricht“ seien das immer noch „drei Stunden weniger als an einem üblichen Schultag vor Corona.“ Weiß irgendjemand vom Ifo-Institut eigentlich, wie diese (offenbar) 7,3 Stunden Lernzeit an einem normalen Schulalltag, Prä-Corona, aussahen? Und wie das jetzt im Home-Schooling aussieht?

 

Ich lese als Aussage der Stadt Bonn zum Thema Luftfilteranlagen für Schulen: „(…) Dementsprechend werden derzeit keine zusätzlichen Maßnahmen – wie die Anschaffung von Luftreinigungsgeräten oder zusätzlichen Filtern – ergriffen, sofern in den entsprechenden Räumlichkeiten ausreichende Lüftungsmöglichkeiten gegeben sind.“ Schulen, an denen Eltern diese Luftfilteranlagen selbst erworben haben, wird der Betrieb untersagt.

 

Ich erinnere mich daran, daß wir in Deutschland das Abitur mal auf 12 Schuljahre verkürzt haben, damit die Schüler*innen aus Deutschland nicht „erst so spät“ an die Universitäten und in den Beruf kommen, das wäre nachteilig.

Im Jahr 2021 versuchen in meinem Umfeld fast alle Eltern die Einschulung ihres schulpflichtigen Kindes auf 2022 zu verschieben; in der Hoffnung, daß dann irgendwas irgendwie normaler wäre.

 

Ich würde gerne die Telefonnummer von jemandem haben, den ich anrufen und sagen kann, daß das so nicht richtig ist, und etwas für die Kinder getan werden muß. Und ich stelle mir vor, daß dieser Mensch mir zuhört, die Situation genauso unsäglich findet, und das ändert. Als ich heute morgen in meinem Portemonnaie nach dem Zettel mit dem Namen und der Telefonnummer dieses Menschen suchte, habe ich ihn nicht gefunden.

Vielleicht habe ich ihn auch niemals gehabt.

 

Ich sehe den Stundenplan meiner Tochter am Kühlschrank hängen. Mittwochs steht dort „Englisch“. „Englisch“ fand seit Dezember nicht mehr statt. Meine Tochter kann dafür jetzt „Home-Schooling“ sagen.